Birgit Klerch – Gaia
In Birgit Klerchs Malerei prallen Welten aufeinander: malerisch wie auch inhaltlich. Unter dem Titel „Gaia“, einer Referenz auf die mythologische Personifikation der Erde, zeigt die Künstlerin Naturlandschaften und Blumenstillleben. In diesen bedient sie sich klassischer Sujets der Kunstgeschichte und führt diese, so wird nach kurzer Irritation deutlich, einem neuen Bedeutungshorizont entgegen, der dem konservativen Thema brisante neue Perspektiven abgewinnt.
Den Kippmoment markiert dabei in erster Instanz die malerische Auflösung des Motivs. Was zunächst realistisch gemalt erscheint zerbröckelt in ein gekonnt geführtes Wechselspiel zwischen feinmalerisch ausgeführten Partien und ihren abstrakten Konterparts, Farbe fließt und tropft über die Leinwand, wird gespritzt oder gerakelt. Manche Bereiche im Bild sind bis ins Detail durchgemalt, andere dagegen bleiben in vager Unschärfe. Diffus bis beunruhigend ist auch die Atmosphäre, die die Künstlerin ihren Landschaften durch teils ungewöhnliche Farbzusammenstellungen mitgibt.
In zweiter Instanz sind es die Motive selbst, die sich als „falsch“ erweisen. Unserem Alltag entnommen vergessen wir, dass Landschaft, wie wir sie kennen, keinesfalls Natur ist, ja noch nicht einmal mehr Landschaft. „Mensch-schaft“ wäre der Titel, den wir ihr geben müssten, Natur ist hier Fehlanzeige. Stattdessen haben wir unsere Spuren überall hinterlassen, haben wir selbst unsere Vorstellung der Welt derart geprägt, dass wir Natur als solche kaum mehr kennen. Und dies nicht erst seit gestern: Schon die romantischen Sehnsuchtsorte Caspar David Friedrichs zeigen keine unberührte Natur mehr, sondern vom Menschen abgeholzte Bergkuppen.
Dennoch, dass ist die gute Nachricht, ist Gaia, die Mutter Erde nicht verloren – es bedarf allerdings des Aufbrechens unserer Denkschablonen, um die destruktiven Strategien des Anthropozäns, also der ersten Epoche, in welcher der Mensch die Erde irreversibel beeinflusst, hinter uns zu lassen. Ausblicke diesbezüglich liefert Bruno Latour. In seiner 2023 erschienenen Sammlung von Vorträgen konstatiert er,1 dass wir, um uns aus der ökologischen Krise befreien zu können, verstehen lernen müssen, dass Mensch und Natur eine Einheit darstellen und nicht zwei verschiedene Lebenswelten. Vielmehr gehören auch wir einem großen Netzwerk an, dass die gesamte Erde umspannt – der Gaia. Nach dieser Gaia-Hypothese, die bereits in den 1970er Jahren erstmalig formuliert wurde,2 bildet die Gesamtheit aller Organismen, also die Biosphäre, eine eigene Form eines Lebewesens aus, welches die Bedingungen auf der Erdoberfläche in einem fein austarierten Gleichgewicht hält. Wechseln wir die Perspektive und sehen uns als Teil dieses Meta-Organismus, dann gibt es, so Latours Fazit, Hoffnung – kein schlechter Ausblick, zumal wenn er derart farbstark und malerisch expressiv daherkommt, wie in den Malereien von Birgit Klerch.
Anne Simone Kiesiel, Kunsthistorikerin
1 Vgl. Bruno Latour: Kampf um Gaia, Acht Vorträge über das neue Klimaregime. Aus dem Französischen von Achim Russer und Bernd Schwibs, Berlin 2023 (Paris 2015).
2 Vgl. James Lovelock, Lynn Sagan: Atmospheric homeostasis by and for the biosphere: the Gaia hypothesis In: Tellus. Series A. Stockholm: Interna<onal Meteorological Ins<tute. Band 26, Nr. 1–2, 1974, S. 2–10.